Melisa Erkurt: "Ich möchte den Bildungsverlierern eine Stimme geben"
Die Journalistin und Autorin Melisa Erkurt über ihr Buch „Generation haram“, über die Kontraproduktivität von Deutschförderklassen und warum eine Ganztagsschule viele Bildungsnachteile ausgleichen könnte.
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Eine Ganztagsschule würde das österreichische Bildungssystem verbessern
„Man sollte das Überwinden sozialer Ungleichheit in den Mittelpunkt der Bildungspolitik stellen“.
Das sei laut Erkurt aktuell aber überhaupt nicht der Fall. Die Autorin spricht sich für eine Ganztagsschule aus, da nicht alle Kinder Lernunterstützung von ihren Eltern bekämen und so besonders Kinder mit Migrationshintergrund immer im Nachteil seien. Nicht alle Eltern hätten die Zeit oder Ressourcen, die Kinder auf ihrem Bildungsweg zu unterstützen, aber dafür dürfe man die Kinder nicht bestrafen, so Erkurt.
Der Bildungserfolg sei auch laut Experten zu einem großen Teil an die soziale Herkunft geknüpft und besonders Kinder aus sozial schwächerem Milieu bräuchten demnach eine Bildungseinrichtung, die sich nicht auf die Mithilfe der Eltern verlässt. Weiters würde eine Ganztagsschule laut der Journalistin vieles erleb- und erfahrbar machen, was Akademikerkinder generell bekommen würden. Schließlich sei es nicht so, dass Akademikerkinder nachmittags nur Zuhause sind, sie dürfen Musikinstrumente lernen, Theaterworkshops und Sportstätten besuchen. Eine Ganztagsschule könnte laut Erkurt diese Lebenswelten für alle Kinder öffnen.
Warum Schule lernen muss, allen eine Chance zu geben!
Das System Schule scheitere laut Erkurt zu einem großen Teil an der Tatsache, dass bestimmte Kinder diskriminiert werden. Die Diskriminierung beginne schon in der Ausbildung der PädagogInnen, da diese die Lehrkräfte darauf vorbereite, einen Max oder eine Lisa zu unterrichten, jedoch nicht eine Hülya oder einen Mohammed.
Es fehle außerdem an SozialarbeiterInnen und SchulpsychologInnen, welche in einem multikulturellen Schulumfeld mit verschiedensten Herausforderungen unabdingbar wären. Diese herausfordernde Arbeit müsse dann oft von den Lehrkräften mitübernommen werden, die weder die Ausbildung noch die Ressourcen dafür hätten.
„Es ist nicht Aufgabe einer Lehrperson, die SchülerInnen mit einem Weckanruf an die Schule zu erinnern, wenn die Eltern arbeitsbedingt schon frühmorgens aus dem Haus müssen“.
Vom österreichischen Schulsystem wünscht sich Erkurt, dass es das Überwinden der sozialen Ungleichheit in den Fokus der Bildungspolitik stellt und dass der Bildungserfolg nicht mehr von der sozialen Herkunft abhängt.
Melisa Erkurt ist eine österreichische Journalistin und Publizistin.
Sie wurde als Kind bosnischer Eltern in Sarajevo geboren. Aufgrund des Bosnienkrieges floh ihre Mutter, als sie noch ein Kleinkind war, mit ihr nach Österreich. Sie besuchte das Gymnasium in Purkersdorf und studierte anschließend an der Universität Wien Deutsch, Psychologie und Philosophie. Ihre journalistische Tätigkeit begann Erkurt beim Magazin biber, wo sie im Rahmen eines Schulprojekts "Newcomer" 2 Jahre an Wiener Brennpunktschulen unterwegs war. Ihre 2016 erschienene Reportage "Generation haram" über die Verbotskultur muslimischer Jugendlicher sorgte für öffentliches Interesse und wurde bei den Österreichischen Journalismustagen zur Story des Jahres gekürt. 2017 erschien ihre Reportage "Süleymans Kinder" - ebenfalls beim Magazin biber, über Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ein Jahr lang unterrichtete Melisa Erkurt an einer AHS in Wien. Sie ist Redaktionsmitglied der ORF-Sendung Report sowie Kolumnistin bei der Wiener Wochenzeitung Falter und der Tageszeitung taz.
Ihr Buch "Generation haram" - Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben" erschien 2020 im Zsolnay Verlag.